Berlin,

DIE FETTEN JAHRE
SIND VORBEI


Die fetten Jahre sind vorbei von Hans Weingartner war der erste deutsche Beitrag im Wettbewerb des Festivals seit 1993 - und das hat seinen Grund: mit kleinem Budget gedreht, läßt der Film den Schauspielern viel Raum, gibt ihnen intelligente Dialoge ohne dabei furchtbar ernst zu sein. Auch wenn
nach dem Film nicht die Revolution ausbrechen wird, eins ist klar,
jammern hilft nicht... ab ins Kino.

INHALT

Dass die Güter dieser Welt ungerecht verteilt sind, ist allen klar, wie das zu ändern ist, hingegen nicht so ganz. Die Freunde Jan (Daniel Brühl) und Peter (Stipe Erceg) haben ihren eigenen Weg gefunden: nachts brechen sie in Villen ein, nicht um zu klauen, sondern um das Mobiliar auf den Kopf zu stellen. Ihre hinterlassenen Botschaften lauten: Die fetten Jahre sind vorbei" oder Sie haben zu viel Geld" - unterzeichnet mit Die Erziehungsberechtigten". Jule (Julia Jentsch), die eigentlich mit Peter liiert ist, und Jan verlieben sich ineinander. Im Überschwang der Gefühle steigen sie zu zweit in eine Villa ein und werden dabei vom Besitzer (Burghart Klaußner) überrascht. Dafür haben die selbsternannten Erziehungsberechtigten keinen Plan - und unversehens werden sie zu Entführern...



Produktion

Die Dreharbeiten zu DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI begannen im Sommer 2003 in Berlin. Wie schon bei seinem ersten Spielfilm "das weiße rauschen" hatte sich Hans Weingartner wieder für einen digitalen Dreh entschieden, denn diese Arbeitsweise ließ ihm die größten Freiheiten künstlerisch und ökonomisch. Da er fast gänzlich auf Kunstlicht verzichtete, entfiel das zeitraubende Einleuchten für jede neue Einstellung, und er war in der Lage mit einer kleinen, eingespielten, 7-köpfigen Crew am Set zu arbeiten. Ohne die sonst übliche Film-Karawane, nur mit zwei Transportern und einigen PKW, war das Team äußerst flexibel und beweglich. Allenfalls das Catering-Mobil ließ erahnen, dass hier eine Filmcrew am Werk war.

Gedreht wurde mit Videokameras, die sehr lichtempfindlich sind. Der Szenenbildner wurde bei dieser Produktion ganz nebenbei zum Beleuchter, indem er möglichst viele "normale" Lichtquellen in die Motive einbaute. Das ermöglichte auch eine größere Bewegungsfreiheit für Kameramann und frau mit den beiden Handkameras, denn es stand kein Beleuchtungsequipment im Weg, keine Kamerastative behinderten die Mobilität, und die Schauspieler mussten sich nicht sklavisch an vorher festgelegte und markierte Positionen halten, um gut ausgeleuchtet zu sein. Die Darsteller und die beiden Kameraleute konnten sich dadurch fast frei am Set bewegen.



Beim Dreh der Demonstration zu Beginn des Films führte diese Reduzierung des technischen Aufwands dazu, dass viele Passanten überhaupt nicht mitbekamen, dass hier ein Filmteam bei der Arbeit war. Einige beherzte ältere Berlinerinnen wollten den vermeintlich von Demonstranten in die Enge getriebenen Polizisten zu Hilfe eilen, weil sie die Demo für Realität hielten.
Nach gut drei Wochen war der Berlin-Teil abgedreht, und die Crew zog um nach Tirol. In einem Sporthotel in Achenkirch am Achensee wurde das "Basislager" aufgeschlagen. Jeden Tag musste das Team über eine enge, ungesicherte Schotterpiste zur Almhütte fahren. Eine harte Prüfung für einige Mitarbeiter und Schauspieler, die an Höhenangst litten, aber da die Alternative eine ca. vierstündige Bergwanderung gewesen wäre, ertrugen alle die abenteuerlichen Fahrten mit Fassung.

Auch für den VW-Bus, der mehr als einmal streikte und dann von einem Trecker auf die Alm gezogen werden musste, war die Pistenfahrt eine echte Herausforderung.



In der Hütte gab es weder fließendes Wasser noch Elektrizität. Ein kleines Aggregat lieferte den Strom für die eigens installierte Beleuchtung in der Hütte, zum Laden der Kameraakkus und für den österreichischen Koch, der die Crew dort oben verköstigte. Es bedurfte einiger ungewöhnlicher Ideen, um den kleinen Generator mit einer zusätzlichen Schallisolierung zu versehen, die ausreichte, um das Laufgeräusch in der nahezu absoluten Stille der Alm genügend zu dämmen.

Das Team und die Schauspieler fühlten sich in der Einsamkeit der Berge wie auf einer Klassenreise, die nach zwei Wochen noch für ein paar Tage nach Frankreich und Spanien führte, wo die Schlusssequenzen gedreht wurden.
Dann begann die lange Postproduktionsphase. Weingartner und die beiden Cutter Dirk Oetelshoven und Andreas Wodraschke standen vor der Aufgabe, ca. 80 Stunden gedrehtes Material auf 120 Minuten zu verdichten. Vier Monate verbrachten sie im Schneideraum, bevor der digitalisierte Feinschnitt sowie der Sound bearbeitet werden konnten, und das Material schließlich im Berliner Feinwerk auf 35 mm ausbelichtet wurde.



Ein Wettlauf mit der Zeit, denn erst wenige Tage vor der Weltpremiere in Cannes im Mai dieses Jahres wurde endlich die Nullkopie gezogen. Hans Weingartner lud die Hauptdarsteller und die komplette Crew an die Croisette ein, und auch der betagte VW-Bus kam am Roten Teppich des bedeutendsten Filmfestivals der Welt noch einmal zum Einsatz. Mit DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI lief nach elf Jahren zum ersten Mal wieder ein deutschsprachiger Film im Wettbewerb. Die Filmemacher und Schauspieler wurden nach der Vorstellung mit 15 Minuten Standing Ovations gefeiert.


DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI hat viel mit den letzten zehn Jahren meines Lebens zu tun, in denen ich mehrfach versucht habe, politisch aktiv zu werden, und mehrfach ge-
scheitert bin. Ich wollte immer Teil einer Jugendbewegung sein, aber ich habe nie wirklich eine gefunden. Ich war Punk, als Punk schon vorbei war, ich war Hausbesetzer, als es damit schon zu Ende ging. Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der viele junge Menschen den Wunsch nach politischer Veränderung in sich tragen, aber nicht wissen, wie sie ihm zum Durchbruch verhelfen sollen. Es fehlen die Reibungsflächen und es fehlt die Gruppendynamik.
HANS WEINGARTNER...


Interview Hans Weingartner


Wie ist die Idee zu DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI entstanden? Gab es reale Vorbilder für die Gruppe oder die Aktionen?

Die Idee, mit anarchischen Aktionen eine Gesellschaftsordnung aufzurütteln, ist ja nicht neu, wir haben sie nur modernisiert.
Es gab in Paris mal einen praktizierenden Arzt, der nachts 20 Jahre lang in Villen einbrach. Niemand wusste davon. Seine Beute lagerte er im Keller, ohne sie je zu verkaufen. Diese Geschichte hat mich inspiriert.

Die Akteure und Dialoge wirken außergewöhnlich authentisch. Wie muss man sich das Drehbuch vorstellen? Wie viel war Vorgabe, wie viel Improvisation?

Es gab ein 179-seitiges Drehbuch, nur ganz wenige Dialoge waren improvisiert, aber ich lasse meinen Schauspielern viel Freiraum. Wir erarbeiten die Szenen gemeinsam.
Die Kunst besteht bei so einer Art von Film darin, etwas improvisiert wirken zu lassen, auch wenn es das gar nicht ist. Improvisiert heißt für mich frisch, nicht wiederholt, ohne Zwang. Man muss das Gefühl haben, dem wahren Leben zuzusehen, nicht einem Film. Das Wichtigste ist, sich genügend Zeit zu nehmen – so lange an einer Szene zu arbeiten, bis sie wirklich real rüberkommt. Man muss Dinge passieren lassen, sich dem "Flow" hingeben, ohne Angst. Ich versuche, nicht zu genau zu planen. Auf den meisten deutschen Filmsets gehts zu wie in einer Autofabrik, da ist so was natürlich nicht möglich.

Als Zuschauer denkt man die ganze Zeit "wie kommen die aus der Nummer wieder raus?" Stand die Auflösung von Anfang an fest oder entstand sie während des Schreibens?

Nein, die entstand während des Schreibens. Man guckt den Figuren zu, wie in einem Versuchslabor. Okay - Jan, Jule und Peter sind keine Verbrecher, keine Terroristen, eigentlich Typen wie du und ich – wie verhalten die sich in so einer Situation? Wenn man das logisch durchdenkt, gibt es gar keine andere Lösung, als die im Film gezeigte.

Neben dem Ensemble tragen Kamera und Schnitt wesentlich dazu bei, dass man sich als Zuschauer so involviert fühlt. Wie sah das visuelle Konzept aus?

Durch ausschließlichen Einsatz von Handkameras und so viel natürlichem Licht wie möglich, haben wir versucht, einen dokumentarischen und realistischen Look zu erreichen. In besonders hektischen Szenen sollten die Kameraleute nicht wissen, wohin die Schauspieler als nächstes gehen. Prinzipiell galt: Die Kamera folgt den Schauspielern, nicht umgekehrt. Auch die Jump Cuts tragen dazu bei, dass man als Zuschauer das Gefühl hat, man bekommt Ausschnitte aus der Wirklichkeit gezeigt, keine inszenierte Wirklichkeit. Zudem nimmt die Kamera nur Positionen ein, die auch ein menschlicher Beobachter einnehmen könnte. Außerdem verwendeten wir hauptsächlich kurze Brennweiten. Das dazu passende Konzept war, die Kamera so weit als möglich in das Geschehen hinein zu tragen: Man steht also sozusagen "mitten im Film".

Wie schon beim "weißen rauschen" haben Sie wieder digital gedreht. Wie waren die Erfahrungen damit für den Regisseur Weingartner?

Der Dreh war viel aufwändiger, aber das Tolle am Digital-Dreh ist, dass man die Proben immer mitdrehen kann. Außerdem ist es ein gutes Gefühl, jederzeit noch einen Take drehen zu können. Auch Nachdrehs sind günstiger. Und die digitalen Kameras sind sehr lichtempfindlich, das bedeutet, man muss wirklich kaum ausleuchten. Dadurch spart man viel Zeit, man hat fast die doppelte Drehzeit im Vergleich zum Zelluloid-Dreh.

Und für den Produzenten Weingartner? Wie wirkt sich der Digital-Dreh auf das Budget aus?

Es ist geringer und dadurch nehmen Druck und Einflussnahme von außen ab. Man hat auch nicht ständig die Anforderung "es muss möglichst vielen Leuten gefallen" im Hinterkopf.

Wie lief die Finanzierung? Standen Ihnen nach dem Erfolg von "das weiße rauschen" alle Türen offen?

Die Finanzierung ging innerhalb von drei Monaten, also sehr schnell. Der Erfolg meines ersten Films hat mir bestimmt manches erleichtert. "Debüt im Dritten" und "arte" waren von Anfang an dabei, und die Redakteure haben sehr stark bei der Entwicklung des Buches mitgewirkt.
Der entscheidende Punkt bei den Förderungen war das Drehbuch, das einfach super angekommen ist.

DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI ist der erste deutschsprachige Film, der seit 11 Jahren in den Wettbewerb des Film-Olymp Cannes eingeladen wurde. Wie waren die Reaktionen?

Wir bekamen nach der Vorführung im "Grande Lumière" in Cannes von 3000 Besuchern 15 Minuten lang Standing Ovations. Die haben uns richtig gefeiert. Sie mochten uns und den Film, das spürte man. Es war ein gigantisches Gefühl.
Auch die Einkäufer standen danach Schlange. Der Film wurde noch in Cannes an Dutzende Länder verkauft. Er wird in ganz Europa ins Kino kommen, in Japan, Australien, Südamerika, Mexiko, Kanada, USA und vielen anderen Ländern.

CAST

Jan ..........................................................................Daniel Brühl
Jule .........................................................................Julia Jentsch
Peter .........................................................................Stipe Erceg
Hardenberg .....................................................Burghart Klaußner
Villenbesitzer ............................................................Peer Martiny
Villenbesitzerin ..........................................................Petra Zieser
Tochter ...................................................................Laura Schmidt
Sohn ......................................................................Sebastian Butz
Aggressiver Globalisierungsgegner .........................Oliver Bröcker
Globalisierungsgegner ...............................................Knut Berger
Vermieter ................................................................Hanns Zischler
Paolo ......................................................................Claudio Caiolo
Jules ...................................................Chef Bernhard Bettermann
Neureiche Frau I ........................................................Sylvia Haider
Neureiche Frau II ..........................................Claudia Jakobshagen
Mädchen in Disco ...................................................Lara Schützsack

STAB

Regie .................................................................Hans Weingartner
Drehbuch ..................................Katharina Held, Hans Weingartner
Komponist ......................................................Andreas Wodraschke
Casting .................................................Silke Koch, Suse Marquardt
Kamera .................................Matthias Schellenberg, Daniela Knapp
Ton ..............................................................................Stefan Soltau
Szenenbild ......................................................Christian M. Goldbeck
Schnitt .................................Dirk Oetelshoven, Andreas Wodraschke
Sound Design .................................................................Uwe Dresch
Mischung .................................................................Bernhard Maisch
Kostüm/Maske .........................................................Silvia Pernegger
Produktions-/Herstellungsleitung ...............................Karsten Aurich
Produzenten ...........................Hans Weingartner, Antonin Svoboda l

Land/Jahr: Deutschland/Österreich – 2004
126 min - 35mm - Farbe - 1:1,85 - Dolby SRD
FSK: ab 12
Eine y3 film (Deutschland) Produktion in Koproduktion mit coop99 (Österreich) in Zusammenarbeit mit Südwestrundfunk und arte, mit Unterstützung von BKM Filmförderung des Bundes, Medienboard Filmförderung & Standortmarketing in Berlin-Brandenburg, Filmfonds Wien, Cine Tirol. Verleih gefördert von: FFA, Medienboard Berlin-Brandenburg und Filmstiftung NRW


Links zum Film

http://www.diefettenjahre.de/index_flash.html
"Vorne wird gefeiert, hinten geprügelt" Berliner zeitung 17.05.2004 / Anke Westphal
  Porträt des Regisseurs Hans Weingartner Süddeutsche 14.05.2004/Tobias Kniebe
http://www.br-online.de/kultur-szene/film/kino/0410/03870/

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