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Während des Drehs wohnte das Team in einem Bauernhof, von dem mir der Besitzer erzählte, dass er ihn im Sommer an osteuropäische Erntearbei-ter*innen vermietet – und mein erster Gedanke war: warum weiß ich davon nichts? Auf Lolland gab es bereits im späten 19. und frühen 20. Jahrhun-dert den Brauch, dass polnische Frauen – meistens sehr jung – auf den Zuckerrübenfeldern arbeiteten.
Jedes Kind auf Lolland lernt das in der Schule, aber die migrantischen Arbeiter*innen von heute scheinen unsichtbar zu sein. Sie arbeiten in der Schweinemast, auf Hühnerfarmen oder als Erdbeerpflücker*innen. Die migrantischen Arbeiter*innen werden scheinbar von unserer (dänischen) Gesellschaft ignoriert. Für mich ist Lolland ein Mikrokosmos der Veränderungen und Bedingungen einer post-industriellen Welt: wie in vielen anderen vormals überwiegend ländlichen Gegenden der westlichen Welt reduzieren sich die Erwerbs-möglichkeiten, was zur Entvölkerung und zur Auflösung eng verknüpfter Gemeinschaften führt.
Das führt zu der Frage: Wenn ich nicht dort bleiben kann, wo ich herkomme, wohin gehöre ich dann? Versteh mich nicht falsch, ich will mich nicht über die Veränderungen beschweren oder sehne mich nach einer „guten alten Zeit“ zurück. Veränderung an sich ist unum-gänglich, aber ich finde es äußerst faszinierend, wie unsere gesteigerte Mobilität und Kommunikation unser Verhältnis zu Gemeinschaft, Familie und den Orten, an denen wir leben, verändert haben – und wie diese Veränderungen unsere persönlichen Beziehungen berühren. Der Fehmarn-Tunnel, ein Tunnel, der Deutschland und Dänemark miteinander verbinden soll und der seit Jahren geplant wird, war eine weitere wichtige Inspiration. Er soll den Warentransport von Skandinavien aufs europäische Festland vereinfachen. Er hat bereits einige große Veränderungen für diese Gegend gebracht und wird das zunehmend tun, u. a. durch die Enteignung von Häusern und Bauernhöfen sowie den Bau einer großen Fabrik für Tunnel-Bauelemente.
Die Landschaft hat sich verändert und wird sich weiter verändern während der jahrelangen Bauzeit an dem eigentlichen Tunnel, was auch einen temporären Bevölkerungszuwachs durch die Arbeiter*innen, die dort leben werden, bedeuten könnte. Als ein Bild für den immanenten Wandel bot der Tunnel den perfekten Rahmen an, um loszulegen und die Themen, an denen ich interessiert war, zu erkunden. Anna Sofie Hartmann |
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