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Als ich sie mit der Kamera zu Hause in Los Angeles besuche, bemerke ich ihre Rastlosigkleit. Sie ist schon wieder auf dem Sprung, plant die nächsten Reisen. Kaum vorstellbar, dass sie nach dem Krieg ein „ganz normales Leben“ führen wollte und niemandem von ihren Kriegserfahrungen erzählte! Sechzig Jahre schwieg sie, doch dann ging alles ganz schnell. Durch die militärischen Ehrungen wurde Marthe zum „Medienstar“ und steht jetzt ständig im Rampenlicht. Die vielen Vortragsreisen bedeuten enormen Stress, aber Absagen kommt nicht in Frage. Ihr Mann Major muss mit und die Gesundheit steht hinten an, denn Marthe weiß: viel Zeit bleibt ihr nicht mehr. Je näher ich Marthe kennen lerne, desto mehr offenbaren sich auch die Seiten ihrer Geschichte, die sie ihrem Publikum nicht so offenherzig preisgibt. Es braucht viel Zeit und Vertrauen, bis sie auch die emotionalen Momente mit mir teilt, die sie so lange im Schweigen behütet hat.
Marthes lebhafte und manchmal auch nachdenkliche Erzählung, durch die sie historische Daten mit Leben füllt, habe ich zu einem umfassenden biografischen Mosaik zusammengesetzt. Private Fotos, Archivaufnahmen und handgezeichnete Animationen vervollständigen das Bild. Marthes Biografie ist geprägt von Flucht, Ungewissheit und Verlust, sie spiegelt europäische Geschichte wieder und angesichts der aktuellen Debatten um den Umgang mit Geflüchteten, offen geäußertem Rassismus und vermehrter Skepsis gegenüber einem geeinten Europa erscheinen Marthes existentielle Lebenserfahrungen wieder aktueller denn je.
Ich hoffe, dass Marthes ungewöhnliche Lebensgeschichte, verbunden mit ihrem sperrigen Charakter, der Lebensbejahung und ihrem unerschütterlichen Humor, viele Menschen berühren wird, so wie sie mich berührt hat. Nicola Alice Hens |
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