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Bubikopf, offensiver Blick, selbstbewusstes
Auftreten und Berufstätigkeit prägen Image und Stereotyp jener Frauen,
deren Mythos sich im Begriff der "Neuen Frau" verdichtet hat. Das
veränderte Rollenverständnis der Frau ist auch Ausdruck politischer
Umwälzungen und gesellschaftlicher Veränderungen zu Beginn des 20.
Jahrhunderts. Die Retrospektive der 57. Internationalen Filmfestspiele Berlin, "City
Girls. Frauenbilder im Stummfilm", reflektiert die Darstellung dieses
neuen Frauentyps im Kino.
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„Die 'kleinen Ladenmädchen', von denen Siegfried Kracauer sprach,
die weiblichen Angestellten, waren eine neue soziale Erscheinung. Ihre Existenz
war keineswegs gesicherter als die der Arbeiterinnen. Das Kino verklärte
ihr Leben zwar meist, nahm es immerhin aber erstaunlich oft in den Blick. So
verhießen die Filme Glück in der Ehe mit einem vermögenden Mann – und
sprachen doch auch vom Alltag vor dem Happy End“, kommentiert der Leiter
der Retrospektive, Dr. Rainer Rother, Künstlerischer Direktor der Deutschen
Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen.
Schauplatz weiblicher Unabhängigkeit, Mobilität und Libertinage ist
die Großstadt. In ihrem Lichterglanz reflektieren die Filme dieser Zeit
Spielformen eines gesellschaftlichen Wertewandels. Rollenmodelle und Klischees
der "Neuen Frau" finden durch das Kino massenhaft Verbreitung: Die
dämonisierte Verführerin der Jahrhundertwende weicht allmählich
dem jugendlich-kecken Look des Girls. Herrenschnitt, schmale Hüften und
flache Busen sind en vogue, Damenwahl und Charleston à la mode. Flapper
flirten im Rhythmus des Jazz – das City Girl erobert die Leinwände.
Die Retrospektive versammelt unter den thematischen Überschriften "Working
Girls", "Flaming Youth", "Husbands and Wives" und "Fate
and Passion" insgesamt dreißig Stummfilmprogramme. Populäre Schauspielerinnen
schlüpfen als "Working Girls" in die Rolle der kleinen Ladenmädchen
und Bürofräulein: Norma Talmadge ist The Social Secretary (John Emerson,
USA 1916), Clara Bow das It-Girl (Clarence Badger, USA 1926/27) mit dem gewissen
Etwas. Jugendliche Unbekümmertheit – "Flaming Youth" – ist
Thema vieler Filme der Stummfilmzeit: Ossi Oswalda schert sich kein bisschen
um gesellschaftliche Konventionen in Ernst Lubitschs turbulenter Komödie
Ich möchte kein Mann sein (Deutschland 1918) und ist ebenso überschäumend-kapriziös
wie die beiden britischen Serial-Heldinnen Alma Taylor und Chrissie White in
Tilly’s Party (Lewin Fitzhamon, 1911). Dass Rollen- und Gesellschaftswandel
Verunsicherungen in den Geschlechterbeziehungen ("Husbands and Wives")
nach sich ziehen, erfährt sowohl Ljudmila Semjonowa in Abram Rooms Sozialstudie
Tretja Meschtschanskaja (Bett und Sofa, UdSSR 1927) als auch Astrid Holm in Carl
Theodor Dreyers Ehedrama Du skal ære din hustru (Du sollst deine Frau ehren,
Dänemark 1925).
Die City Girls lassen sich nicht festlegen, probieren neue und legen alte Verhaltensweisen
ab. Sie verführen, sind mondän, schillernd – und sind noch umfangen
von Tragik und Dekadenz des Fin de siècle wie Nina Tschernowa in Jewgeni
Bauers Sumerki schenskoi duschi (Twilight of a Woman’s Soul, Russland 1913)
und Francesca Bertini in Assunta Spina (Gustavo Serena, Italien 1914). Verhängnis
und Leidenschaft, "Fate and Passion", sind die Koordinaten ihrer geheimnisvollen
Leinwandaura. Dass dem Traum von einem selbstbestimmten Leben aber auch klare
Grenzen gesetzt sind, zeigen viele Filme der Stummfilmzeit, so auch Mikio Naruses
Melodram Yogoto no yume (Every Night Dreams, Japan 1933).
„Die Stummfilmzeit hat weltweit einen neuen Frauentyp auf der Leinwand
propagiert, der bis heute für Modernität steht. In der aktuellen Debatte über
Geschlechterrollen findet man zahlreiche Parallelen zur Emanzipationsdiskussion
dieser Ära“, sagt Berlinale-Direktor Dieter Kosslick.
Die Filmvorführungen der Retrospektive finden im CinemaxX am Potsdamer Platz
und im Zeughauskino statt. Das Buch "City Girls. Frauenbilder im Stummfilm" mit
filmhistorischen sowie kulturgeschichtlichen Essays, verfasst von Daniela Sannwald,
Annette Brauerhoch, Heike-Melba Fendel und Fabienne Liptay, und der Katalog "FilmHeft
11", der die Filme der Retrospektive mit zeitgenössischen Kritiken
(dt. und engl.) und ausführlichen filmografischen Angaben dokumentiert,
erscheinen im Berliner Bertz + Fischer Verlag. Die Retrospektive und die Begleitpublikationen
werden von der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen
verantwortet. Ergänzend zum Filmprogramm präsentiert die Deutsche Kinemathek
auch eine Veranstaltungsreihe mit Vorträgen und Diskussionen.