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Nach nunmehr 30 Jahren Nachwendezeit zeigt sich mit wachsender Deutlichkeit, was für ein radikaler Bruch die Wiedervereinigung für die meisten Deutschen, vor allem (aber nicht nur) im Osten bedeutete. Im Freudentaumel der Wende kamen Ängste, Erschütterungen, Traumata nur leise und das Wunder-Narrativ störend zur Sprache. Doch dieses fundamentale Ereignis schickt auch heute noch Schockwellen durchs Land. Wir müssen immer wieder neu erfahren, wie nachhaltig es Menschen prägt, wenn Systeme zusammenbrechen, Lebenswirklichkeiten über den Haufen geworfen werden und, im Falle der DDR, ein ganzes Land abgewickelt wird. Renovierte Straßen und Fassaden täuschen nicht länger über tiefgehende Verletzungen hinweg.
Manchmal entsteht ein unverstellter Blick erst in der Distanz. Anlässlich des dreißigjährigen Jubiläums, aber auch der politischen Zerrissenheit des Landes, beschäftigt sich die Nation mit den Geburtsstunden des wiedervereinten Deutschlands. Was lief damals falsch? Was hat Narben hinterlassen? Wo ist man sich unehrlich begegnet, hat seine Vorurteile in die „neue“ Beziehung mit eingebracht? Viele Filme beschäftigen sich mit den Ereignissen der Wende, andere mit dem Erstarken der Rechten im ehemaligen Osten. Es gibt starke Sozialdramen und historische Komödien. Das Wesen des Thrillers ist die Beschäftigung, die Auseinandersetzung mit der Angst. FREIES LAND nähert sich dem Thema mit den Werkzeugen des Genres.
Mit LA ISLA MÍNIMA – MÖRDERLAND (2014) fand sich eine starke Vorlage, die ihrerseits anhand des Kriminalfalls ein Portrait Spaniens in der Post-Franco-Ära zeichnet. Für die deutsche Version bot sich in der Begegnung der beiden Kommissare die Möglichkeit, sie als eine Begegnung von Ost und West zu erzählen, als ein Aufeinanderprallen unterschiedlicher Charaktere mit radikal entgegengesetzten Lebensläufen – nicht nur exemplarisch, sondern auch als Individuen. Und es geht nicht um urbane Wirklichkeiten, sondern die Landstriche, die seit Jahrzehnten ausbluten. Dort, wo junge, hoffnungsvolle Menschen nur die Tage zählen, bis sie weg können. Und wo man sich vielleicht nicht so schnell wundert, wenn junge Frauen verschwinden.
Die Ängste des Westlers vor dem unbekannten Osten und des Ostlers vor der unbekannten Zukunft begleiten die Ermittlungen und finden ihren Ausdruck in teilweise mystisch überhöhten Begegnungen. Unsere gebrochenen Helden jagen ein Phantom in einem kargen Landstrich, der von Frost und Rost überzogen ist, als ob der Ereignissturm der Nachwende das Land in einem buchstäblichen Schockzustand festgefroren hält.
Unsicherheit prägt nahezu alle Figuren, es gibt keine Gewissheiten mehr, und hinter jeder Antwort lauert die nächste Frage. Christian Alvart |
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