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Hinter
der Sonne
(Behind the
Sun / Abril Despedacado)Ein Film von WALTER SALLES
Brasilien · Schweiz · Frankreich · 2001 ,
ca. 89 min · Dolby SRD Eine VideoFilmes, Haut et Court, Bac Films
and Dan Valley AG Koproduktion, Startermin: 11.04.2002
Regie. . . . . . . . . . . . WALTER SALLES
Buch . . . . . . . . . . . . WALTER SALLES, SÉRGIO MACHADO,
. . . . . . . . . . . . . . . . KARIM AÏNOUZ
Kamera . . . . . . . . . . WALTER CARVALHO
Schnitt. . . . . . . . . . . ISABELLE RATHERY
Musik . . . . . . . . . . . ANTONIO PINTO
Kostüm. . . . . . . . . . CAO ALBUQUERQUE
www.hinter-der-sonne.de
Inspiriert von dem Roman von ISMAIL KADARÉ - "Der zerrissene April"
HINTER DER SONNE erzählt die Geschichte Tonhos
(Rodrigo Santoro), dessen Vater (José Dumont) ihm befiehlt, den
Tod seines älteren Bruders zu rächen. Obwohl Tonho weiß, dass er mit
dem Mord sein eigenes Leben aufs Spiel setzt, beschließt er, die Ehre
seiner Familie zu retten. Erst die Fragen seines jüngeren Bruders
Pacu (Ravi Ramos Lacerda) stimmen ihn nachdenklich und lassen ihn
an dem Gebot der Blutrache zweifeln.
Als eines Tages ein Wanderzirkus durch die Stadt zieht und
Tonho sich in die bezaubernde Schaustellerin Clara (Flavia Marco Antonio)
verliebt, hat er die Möglichkeit, sein Leben zu ändern ... HINTER
DER SONNE - inspiriert von dem Buch "Der zerrissene April" von Ismail
Kadaré - ist ein poetischer, aufwühlender und schmerzlicher Film über
den Tod und das Leben. Ein eindringliches Drama voll epischer Wucht
und emotionaler Kraft...
Die Blutfehde in Brasilien |
Luiz Aguiar Costa Pintos Buch "Lutas de Familia no Brasil" (Familienfehden
in Brasilien) aus den 40er Jahren macht begreiflich, welche Ähnlichkeiten
- und Unterschiede - zwischen den Konflikten in unserem Land und denen
in Kadarés Albanien bestehen. Pintos Buch, das die Auseinandersetzungen
zwischen der Pires-Familie und der Carnargo-Familie in São Paulo sowie
zwischen den Feltosas und den Motes in Ceará untersucht, beweist,
dass Blutrache in Brasilien in der Abwesenheit gerichtlicher Autorität
stattfand. Blutrache ist etwas, was natürlich und spontan entsteht
und nur dann endet, wenn eine stärker entscheidende Gewalt auf den
Plan tritt.
Pintos Studien waren entscheidend für die Anlage der Figuren des
Vaters und der Mutter der Breves-Familie, verkörpert von José
Dumont und Rita Assemany, und für die Abgrenzung der sozialen Klasse,
zu der sie gehören. Die Breves sind als Landbesitzer abhängig von
der Zuckerrohr-Monokultur, deren Niedergang mit der Abschaffung der
Sklaverei Ende des 19. Jahrhunderts begann. Ihre Rivalen, die Ferreiras,
sind aufstrebende Landbesitzer - sie betreiben Viehzucht
Im Folgenden finden sich einige der Gesetze, die die Familien aufgestellt
hatten, um die Blutfehden zu regeln. Zusammengestellt wurden sie
von Sérgio Machado aus dem Buch "Lutos de Familia no Brasil":
· "Rache ist eine absolute und nicht hinterfragbare Pflicht, der man
sich nicht entziehen kann, es sei denn mit der Strafe der gesellschaftlichen
Verbannung. In solchen Fällen trifft die Schande nicht nur den Einzelnen,
sondern die ganze Familie."
· "Für die Familie ist die Rache ein Kampf ums eigene Überleben. Sich
dem zu entziehen, würde gegen alle Regeln verstoßen, die Tradition
verletzen und die eigene Existenz und die soziale Eintracht bedrohen."
· "Das enorme Anwachsen der Macht der Familien und die Schwäche der
staatlichen Gewalt sind die Ursachen für das Problem der Blutrache
in Brasilien."
· "Die Pflicht, Vergeltung zu üben, obliegt dem nächsten Verwandten
des Opfers." · "Wenn der nächste Verwandte seiner Verpflichtung nicht
nachkommt, wird sich diese Beleidigung des Toten gegen ihn wenden."
Über die Rolle der Mutter:
· "Für den Fall, dass nach einer Gewalttat kein Erwachsener
da ist, um Vergeltung zu üben, obliegt es den Frauen und den
Alten, die Jüngeren an ihre Verpflichtung zu erinnern und deren
Rachegelüste zu nähren."
· "Die Frauen nutzen alle Mittel, um die Fehde anzustacheln
und aus der Familie eine verschworene Gemeinschaft zu machen.
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Wenn es eine Blutfehde ist, stellen sie die blutbefleckte
Kleidung des Toten zur Schau und leben in permanenter Trauer. Sie
verlassen das Haus nicht, beweinen den Toten Tag und Nacht, erinnern
an ihn, übertreiben seine guten Eigenschaften und erwecken so das
Gefühl der Reue und den Wunsch nach Vergeltung."
Blutbefleckte Hemden und die Kommunikation mit dem Tod
Die blutbefleckten Hemden, zur Schau gestellt von den sich bekriegenden
brasilianischen Familien und in Kadarés Roman, haben ihre Entsprechung
in anderen Epochen. Kadaré erinnert uns daran, dass sie in Aischylos'
"Die Orestie" als Schleier auftauchen und dass sie von den Bewohnern
Kretas als Verständigungsmittel mit den Ermordeten benutzt wurden.
Sie spielten folglich eine wichtige Rolle in den Blutfehden. Für die
Griechen waren die Toten, die nicht in Frieden ruhen, Teil einer Zwischenwelt
zwischen den Menschen und den Göttern. Die Griechen glaubten, dass
eine Blutrache nur mit Erlaubnis des Toten ausgeführt werden konnte
und dass ein Körper, dessen Hände und Beine abgetrennt worden waren,
keine Nachrichten an die Welt der Lebenden übermitteln konnte.
Darum schneidet Clytemnestra in "Die Orestie" ihrem Ehemann
die Gliedmaßen ab und nimmt damit die Gräuel vorweg, die Jahrhunderte
später Lady Macbeth in Shakespeares Stück begeht. Schließlich betont
Aischylos, dass bei einer Blutrache zwischen Familien das Recht nie
auf beiden Seiten ist. Es wechselt von einer Seite zur anderen, abhängig
davon, welcher Mord zuletzt begangen worden ist. Es wechselt folglich
von Mann zu Mann, von Familie zu Familie, von Clique zu Clique, von
Land zu Land - in einem endlosen Kreislauf.
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Klageweiber, Grabgesänge
und der Ursprung der Tragödie |
An allen Orten, an denen wir HINTER DER SONNE
drehten, trafen wir auf Klageweiber und lauschten ihren althergebrachten
Liedern - Liedern des Gebets für die Erlösung der Toten, Liedern,
die ihre Taten preisen. Ähnliche Lieder, aufgenommen von Beto Villares
in Minas Gerals, finden sich auf dem Soundtrack, der von Antonio Pinto
(Komponist von CENTRAL DO BRASIL) stammt. Die Szenen mit Klageweibern
im Film sind kein Zufall, auch dies war beeinflusst von Ismail Kadaré.
Nietzsche hat die These aufgestellt, dass die griechische Tragödie
ihren Ursprung in den dionysischen Feiern hat. Kadaré behauptet, dass
die Tragödie eine Ausweitung eines anderen Rituals ist, nämlich der
Grabgesänge, vorgetragen von Klageweibern bei Begräbnissen.
In seinen Büchern "Eschyle ou le gran perdant" und "Dialogue
avec Alain Bosquet" erinnert Kadaré daran, dass das Grab eines Toten
und der Platz um das Grab gleichzeitig das Rohmaterial und die erste
Szene des tragischen Theaters sind. Der Hauptdarsteller, der Tote,
befindet sich in einem Zustand zwischen Leben und Tod. Weil er nicht
mehr für sich selbst sprechen kann, müssen andere für ihn sprechen.
Diese Aufgabe fällt den ersten Berufsschauspielerinnen zu - nämlich,
so Kadaré, den Klageweibern. Ihre Klagelieder gehören in den Bereich
der schauspielerisch dargestellten Realität, eine ähnliche Funktion
wird später der Chor im griechischen Theater haben.
Noch heute wird das Wort "Schauspieler" im Griechischen mit "hypokrites"
(Erklärer) übersetzt. Dieses Wort passt perfekt zu den berufsmäßigen
Klageweibern, die Tote beweinen, die nicht zu ihrer Familie gehören.
Diese Betrachtungen beziehen sich auf einen "normalen" Trauergottesdienst.
Wenn aber der Tote Opfer einer Blutrache ist und der Mörder am Begräbnis
und am Leichenschmaus teilnehmen muss, wie in "Der zerrissene April",
befinden wir uns im Bereich der wirklichen Tragödie. Auf der einen
Seite steht das Blut, das gerächt werden muss, die Morde und Gräueltaten,
die nie in Vergessenheit geraten werden. Auf der anderen der Wunsch,
den Tod zu überwinden. Es ist genau dieser Widerspruch, um dem es
in HINTER DER SONNE geht.
HAUPTROLLEN UND IHRE DARSTELLER
Vater . . . . . . . . . . . . . JOSÉ DUMONT
Tonho . . . . . . . . . . . . . RODRIGO SANTORO
Mutter. . . . . . . . . . . . . . RITA ASSEMANY
Salustiano . . . . . . . . . . . . LUIZ CARLOS VASCONCELOS
Pacu. . . . . . . . . . RAVI RAMOS LACERDA
Clara . . . . . . . . . . . . FLAVIA MARCO ANTONIO
Mr. Lourenço . . . . . . . . . . . OTHON BASCOS
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